Review: Jazz City

by Michael Rüsenberg
Published 6 July 2014

Splice, dieses britisch-französisch-kanadische Quartett mag einem als schönes Gegengift einfallen, wenn einem das gegenwärtig beliebte elektronische Wabern & Blubbern mancher deutscher Jazzmusiker gar zu altbacken und einfältig vorkommt. Splice haben 2009 ein formidables Album produziert („Lab“), das der elektro-akustischen Bearbeitung von Jazz-Improvisation neue Spielfelder eröffnet.

Auf den Monat genau drei Jahre später ist an der Universität Huddersfield, wo Pierre Alexandre Tremblay lehrt, eine Nachfolgeproduktion entstanden, ein Doppelalbum. Und, ein Wandel ist festzustellen. Die elektro-akustischen Eingriffe auf CD 1 sind minimal und subtil, es sind kaum mehr als Klangschattierungen, erst ab track 3 geben sie sich deutlicher zu erkennen. In track 5 scheinen die Cymbals verfremdet zu sein, sie kommen einem vor wie elektronische Wischbewegungen. Im letzten track von CD 1 kulminiert Studiotechnik in fein geschichteten Trompeten-Loops, ergänzt von multiphonics aus Robin Fincker´s Tenorsaxophon. Der Rhythmus auch hier: frei-metrisch, freilich eher im Sinne eines weniger ausgeführten als vielmehr nur gefühlten Free Rock. Ja, CD 1 ist deutlich geprägt von einem kollektiven Gestus, im Aufbau der Stücke, in den Improvisationen. Es gibt keinen Grund, dies nicht FreeJazz zu nennen, bloß weil hier kein Kontrabaß mitwirkt, sondern die tief grummelnde, gelegentlich verzerrte Baßgitarre von Tremblay, oder weil Dave Smith das genre-typische Pulsspiel verweigert (hauptberuflich ist er mit dem Led Zeppelin-Veteranen Robert Plant unterwegs oder mit Trommlern aus Gambia). Die Themenfindung in den tracks 4 und 5 ist kompositorisch gesteuert durch Alex Bonney, in „Mobile Piece“ in deutlicher Anlehnung an die Signalmotivik von Ornette Coleman, in „Colour Casts“ durch ein wunderbar wehendes Motiv der sich girlandenhaft windenden Klarinette und Trompete.

CD 2 setzt wortwörtlich einen anderen Ton, das ist die Brücke zu der elektro-akustischen Vehemenz des Vorgängeralbums „Lab“. Drei hohe, fast schmerzhaft hohe Töne loten in „Dew Point“ minimale Differenzen zueinander aus. Der Titel „Dew Point“ ist gut gewählt, „Tau-Punkt“, denn langsam schälen sich rhythmisierte Tau-Tropfen heraus, Loops, die vermutlich aus Klappengeräuschen gewonnen sind und rhythmisch-tonal wie in einer Licht-Skulptur changieren. „Reverse Clearing“ ist eine Hall-Orgie, in der einzelne drum-Schläge einen riesigen Raum beschreiben, der sich mit sparsamen Bläsertönen füllt und von einem mächtigen Baß grundiert wird. Der Drone, in dem alle bis auf den Baß verschwinden, könnte unendlich so laufen. Vielstimmige Bläserflächen folgen, und erst in track 4 kommt Vorzeige-Elektronik zum Einsatz. Ein Höllenflackern, gegen das Dave Smith antrommelt wie 1975 Stu Martin in „Live at Woodstock Town Hall“ (mit John Surman). Track 5 ist eine Steigerung von track 4, das Ganz Große Flackern! 17 Minuten lang knattert es wie aus Hubschrauber-Rotoren, „La Pluie“, der Regen, der sich assoziativ mehr zu einem Schlachtgemälde ausweitet. Die Bläser ziehen lange Linien, feedback verlängert, mit fallenden Tonhöhen, die abstürzende Flugzeuge nahelegen. Im weiteren Verlauf verliert sich dieses Bild, „La Pluie“ gewinnt wieder Dominanz. Ja, das wirkt überraschend illustrativ, und es ist ein Paradox: unter großem Getöse baut „La Pluie“ eine Brücke zum Vorgängeralbum. Aber pars pro toto gilt hier nicht, denn insgesamt betreibt „silent spoke“, das Album, tendenziell eine Verflüchtung des Einsatzes elektro-akustischer Mittel. Gut denkbar, dass das Quartett eines Tages ohne diese alle antritt.

Ob das wünschenswert wäre ... ist eine ganz andere Frage. Einstweilen wird Splice als elektro-akustische Referenz im Jazz gebraucht.